Als Philipps größter Fehler zum Türöffner wurde
Philipp saß im Vorstellungsgespräch für eine Teamleiter-Position bei einem Softwareunternehmen. Die Frage kam direkt und unverblümt: "Erzählen Sie uns von einem Projekt, das gescheitert ist. Was ist schiefgelaufen?"
Philipp spürte, wie sein Puls stieg. Er hatte sich auf diese Frage vorbereitet und entschied sich für Ehrlichkeit: "Vor zwei Jahren habe ich ein Migrationsprojekt geleitet – wir sollten ein Legacy-System auf eine neue Plattform übertragen. Ich habe den Zeitplan unterschätzt, zu wenig mit dem Team kommuniziert und zu spät erkannt, dass wir externe Expertise brauchen. Das Projekt hat sich um vier Monate verzögert und hat 40% mehr gekostet als budgetiert." ehrlich und authentisch.
Er machte eine kurze Pause und fuhr fort: "Das war mein Wake-up-Call. Ich habe danach einen Projektmanagement-Kurs gemacht, gelernt, realistische Puffer einzuplanen und offener zu kommunizieren, wenn Probleme auftauchen. Seitdem habe ich fünf Projekte erfolgreich abgeschlossen – alle im Zeit- und Kostenrahmen. Dieser Misserfolg hat mich zu einem besseren Projektleiter gemacht."
Die Interviewerin lehnte sich zurück und nickte: "Das ist genau die Reife, die wir suchen." Philipp bekam die Stelle – nicht trotz, sondern wegen seiner ehrlichen Reflexion.
Ganz anders lief es bei Michael. Auf die gleiche Frage antwortete er: "Eigentlich sind mir keine großen Fehler unterlaufen. Ich arbeite sehr gewissenhaft." Die Interviewer wirkten skeptisch. Später kam die Absage mit dem Feedback: "Fehlende Selbstreflexion und unrealistisches Selbstbild."
Warum Interviewer nach Misserfolgen fragen
Die Frage nach Fehlern und Misserfolgen ist keine Falle – sie ist eine Chance. Recruiter wollen drei Dinge herausfinden:
1. Kannst du Fehler eingestehen?
Niemand ist perfekt. Wer behauptet, keine Fehler zu machen, wirkt unreflektiert oder unehrlich. Selbsterkenntnis ist eine Führungsqualität.
2. Lernst du aus Misserfolgen?
Ein Fehler ist nur dann wertvoll, wenn du daraus lernst. Interviewer wollen sehen, dass du Growth Mindset hast – die Fähigkeit, aus Rückschlägen zu wachsen.
3. Wie gehst du mit Druck um?
Über Misserfolge zu sprechen ist unangenehm. Deine Reaktion zeigt, ob du auch in schwierigen Momenten souverän bleibst.
Bereite 2-3 echte Misserfolgs-Geschichten vor, die unterschiedliche Aspekte zeigen: fachlicher Fehler, Kommunikationsproblem, Fehleinschätzung. Variiere je nach Gesprächsverlauf.
Die Anatomie einer perfekten Misserfolgs-Antwort
Eine überzeugende Antwort folgt der erweiterten STAR-L Methode: Situation, Task, Action, Result, Learning.
Situation (10 Sekunden): Setze den Kontext, aber verliere dich nicht in Details.
Task (10 Sekunden): Was war deine Verantwortung? Was sollte erreicht werden?
Action (20 Sekunden): Was hast du getan? Hier darfst du ehrlich sein, was schiefgelaufen ist.
Result (15 Sekunden): Was waren die Konsequenzen? Sei ehrlich, aber vermeide Drama.
Learning (25 Sekunden): Was hast du gelernt? Wie hat es dich verändert? Was machst du heute anders?
Das Learning ist das Herzstück – hier entscheidet sich, ob deine Antwort überzeugend ist.
Lisas Meisterklasse im Misserfolg erzählen
Lisa bewarb sich als Produktmanagerin. Ihre Antwort war lehrbuchmäßig:
Situation: "Ich habe ein neues Feature für unsere App entwickelt – eine Community-Funktion, die User stärker binden sollte."
Task: "Meine Aufgabe war es, das Feature von der Konzeption bis zum Launch zu begleiten und einen Adoption-Rate von 40% zu erreichen."
Action: "Ich war so überzeugt von der Idee, dass ich kaum User-Research gemacht habe. Wir haben gebaut, was ich für richtig hielt – ohne ausreichend mit echten Nutzern zu sprechen."
Result: "Das Feature floppte. Nur 8% Adoption nach drei Monaten. Wir mussten es wieder einstellen. Das war frustrierend und peinlich."
Learning: "Das war meine härteste Lektion in Product Management: User Centricity ist keine Option, sondern Pflicht. Seitdem führe ich bei jedem Feature mindestens 10 User Interviews durch, bevor ich in die Entwicklung gehe. Mein letztes Feature hatte 52% Adoption – weil ich die User von Anfang an einbezogen habe. Der Flop hat mich zu einer besseren Produktmanagerin gemacht."
Die Interviewer waren beeindruckt. Lisa bekam die Stelle.
Häufige Fehler beim Sprechen über Misserfolge
Fehler 1: Keine echten Misserfolge nennen
"Ich bin manchmal zu perfektionistisch" oder "Ich arbeite zu viel" sind keine Misserfolge – es sind getarnte Stärken. Interviewer durchschauen das sofort.
Besser: Nenne einen echten Fehler mit echten Konsequenzen.
Fehler 2: Andere beschuldigen
Jonas machte diesen Fehler: "Das Projekt ist gescheitert, weil das Team nicht motiviert war und das Management keine Ressourcen bereitgestellt hat." Selbst wenn es stimmt – es wirkt, als ob du keine Verantwortung übernimmst.
Besser: "Das Projekt hatte mehrere Herausforderungen, aber ich hätte früher eskalieren müssen, als ich merkte, dass uns Ressourcen fehlen. Das war mein Fehler."
Fehler 3: Zu dramatisch oder zu bagatellisierend
Die Balance ist wichtig. "Ich habe das ganze Unternehmen fast in den Ruin getrieben" ist zu dramatisch. "Ich habe mal eine E-Mail vergessen" ist zu banal. Finde die Mitte: Bedeutsam genug, um daraus zu lernen, aber nicht karrierezerstörend. aus Misserfolgen lernst.
Fehler 4: Kein konkretes Learning
"Ich habe gelernt, dass man vorsichtiger sein muss" ist vage. "Ich habe gelernt, Projektpläne immer mit 20% Zeitpuffer zu versehen und wöchentliche Stakeholder-Updates einzuführen" ist konkret.
Teste deine Misserfolgs-Story vorher mit Freunden oder Mentoren. Frage: Wirke ich reflektiert? Übernehme ich Verantwortung? Ist das Learning glaubwürdig?
Verschiedene Arten von Misserfolgen und wie du sie framest
Fachliche Fehler
Beispiel: "Ich habe in einer Analyse falsche Annahmen getroffen und deshalb eine Empfehlung gegeben, die nicht funktionierte."
Learning: "Seitdem validiere ich jede Annahme mit Daten und hole Peer-Review ein, bevor ich Empfehlungen abgebe."
Kommunikationsfehler
Beispiel: "Ich habe in einem Projekt zu wenig mit Stakeholdern kommuniziert und wurde von ihren Erwartungen überrascht."
Learning: "Jetzt führe ich zu Projektstart immer Stakeholder-Mappings durch und plane regelmäßige Check-ins ein."
Führungsfehler
Beispiel: "Ich habe ein Teammitglied nicht rechtzeitig bei Leistungsproblemen angesprochen und das Problem wuchs."
Learning: "Ich habe gelernt, schwierige Gespräche nicht aufzuschieben. Frühes, konstruktives Feedback verhindert größere Probleme."
Zeitmanagement-Fehler
Beispiel: "Ich habe zu viele Projekte parallel angenommen und konnte keinem gerecht werden."
Learning: "Jetzt priorisiere ich knallhart und sage auch mal Nein. Qualität vor Quantität."
Branchenspezifische Beispiele
Tech/Engineering
Daniel (Software Engineer): "Ich habe Code deployed ohne ausreichend zu testen. Das führte zu einem Bug in Production, der 2 Stunden Downtime verursachte. Seitdem habe ich CI/CD-Pipelines mit automatisierten Tests eingeführt und folge strikt dem Code-Review-Prozess."
Übung macht den Meister: Trainiere konstruktive Selbstreflexion. Du erhältst sofort Feedback zu deinen Antworten.
Sales
Simone (Account Manager): "Ich habe einen Großkunden zu aggressiv mit Upselling angesprochen und ihn damit vergrault. Seitdem höre ich erst zu, verstehe den Bedarf und biete dann Lösungen an – statt zu pushen."
Marketing
Tobias (Marketing Manager): "Ich habe eine Kampagne gelauncht ohne A/B-Testing. Sie floppte komplett. Jetzt teste ich alles erst in kleinem Maßstab, bevor ich voll skaliere."
HR
Katharina (HR Business Partner): "Ich habe eine Stelle mit jemandem besetzt, der fachlich stark war, aber kulturell nicht passte. Die Person kündigte nach 5 Monaten. Seitdem lege ich gleich viel Wert auf Cultural Fit wie auf Skills."
Umgang mit heiklen Misserfolgen
Manche Misserfolge sind heikel: Kündigungen, rechtliche Probleme, ethische Grenzverletzungen. Hier brauchst du besondere Vorsicht.
Wenn du gekündigt wurdest:
Sei ehrlich, aber vermeide Details. "Die Position und ich waren nicht die richtige Passung. Ich habe gelernt, vorab genauer zu prüfen, ob Unternehmenskultur und meine Arbeitsweise kompatibel sind."
Wenn etwas richtig schiefging (großer finanzieller Schaden, verlorener Kunde):
Minimiere nicht, aber fokussiere auf die Lehre. "Ja, das war ein teurer Fehler. Das Unternehmen hat mir trotzdem vertraut, weil ich transparent kommuniziert und Maßnahmen ergriffen habe, damit es nicht wieder passiert."
Wenn du ethische Bedenken hattest:
Sei vorsichtig mit Details, aber stehe zu deinen Werten. "Ich war in einer Situation, wo ich eine Entscheidung meiner Führungskraft kritisch sah. Ich habe gelernt, früher und direkter solche Bedenken anzusprechen – konstruktiv, aber klar."
Wenn ein Misserfolg zu heikel ist, um ihn zu teilen, wähle einen anderen. Du bist nicht verpflichtet, das Schlimmste zu erzählen – nur etwas Echtes und Lehrreiches.
Die Rolle von Emotionen
Über Misserfolge zu sprechen kann emotional sein – und das ist okay, solange du es dosiert zeigst.
Zeige menschliche Reaktion: "Das war frustrierend" oder "Ich war enttäuscht" ist authentisch.
Vermeide Überwältigung: Werde nicht emotional im Gespräch. Zeige, dass du den Misserfolg verarbeitet hast.
Fokussiere auf Konstruktivität: "Ich war frustriert, aber habe die Emotion genutzt, um wirklich zu reflektieren und zu lernen."
Elena erzählte von einem gescheiterten Launch: "Ich war wirklich enttäuscht – wir hatten Monate daran gearbeitet. Aber dann habe ich mir gedacht: Okay, was kann ich daraus mitnehmen? Diese Frage hat den Unterschied gemacht." Die Interviewer schätzten ihre emotionale Intelligenz.
Nachfragen geschickt beantworten
Oft folgen Nachfragen auf deine Misserfolgs-Story. Bereite dich darauf vor:
"Würden Sie heute etwas anders machen?"
"Auf jeden Fall. Ich würde von Anfang an Stakeholder eng einbinden und klare Meilensteine setzen. Das hätte viel Ärger gespart."
"Was hat Ihr Team/Chef damals gesagt?"
"Mein Chef war nicht begeistert, aber hat die Ehrlichkeit geschätzt. Wir haben gemeinsam analysiert, was schiefging, und ich durfte das nächste Projekt leiten – mit mehr Struktur."
"Wie stellen Sie sicher, dass dieser Fehler nicht wieder passiert?"
"Ich habe konkrete Prozesse eingeführt: [nenne spezifische Maßnahmen]. Außerdem hole ich regelmäßig Feedback ein, um blinde Flecken zu erkennen."
"Gab es Konsequenzen für Sie?"
Sei ehrlich: "Ja, ich habe in der nächsten Performance-Review Kritik bekommen. Aber im Jahr darauf habe ich mich deutlich verbessert und das wurde anerkannt."
Der Unterschied zwischen Junior und Senior
Die Art von Misserfolgen, die du teilst, sollte zu deinem Seniority-Level passen:
Junior-Level: Fokussiere auf fachliche Fehler und Lernkurve. "Ich habe am Anfang die Komplexität von X unterschätzt, aber durch Mentoring und Übung schnell gelernt."
Mid-Level: Zeige Fehler in Projektmanagement oder Zusammenarbeit. "Ich habe Cross-Team-Dependencies unterschätzt und musste lernen, proaktiver zu koordinieren."
Senior-Level: Zeige strategische oder Führungsfehler. "Ich habe eine strategische Entscheidung getroffen, die kurzfristig richtig schien, aber langfristig problematisch war. Das hat mich gelehrt, immer mehrere Szenarien durchzuspielen."
Wähle einen Misserfolg, der deinem aktuellen Niveau entspricht – aber zeige, dass du darüber hinausgewachsen bist.
Positive Framing ohne zu beschönigen
Es gibt einen Unterschied zwischen positivem Framing und Beschönigung:
Beschönigung (schlecht): "Eigentlich war es gar kein richtiger Fehler, die Umstände waren halt schwierig."
Positives Framing (gut): "Es war ein klarer Fehler meinerseits. Gleichzeitig war es die wertvollste Lernerfahrung meiner Karriere und hat mich deutlich weitergebracht."
Du stehst zum Fehler, zeigst aber auch den Wert, den er gebracht hat.
Wenn du jung bist und "keine großen Fehler" hast
Berufseinsteiger oder Juniors haben oft Angst, keine "großen" Misserfolge zu haben. Das ist okay – wähle einfach etwas Relevantes:
- Ein Uni-Projekt, das schiefging
- Ein Praktikums-Fehler, aus dem du gelernt hast
- Eine falsche Priorisierung im ersten Job
- Ein Kommunikationsfehler mit einem Teammitglied
Felix (Junior Designer) erzählte: "Im Praktikum habe ich ein Design präsentiert, ohne vorher Feedback vom Team einzuholen. Der Kunde fand es nicht gut und wir mussten von vorne anfangen. Seitdem hole ich immer mindestens zwei Meinungen ein, bevor ich etwas präsentiere." Einfach, ehrlich, lehrreich.
Fazit
Philipp hat gezeigt: Über Misserfolge zu sprechen ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Es zeigt Reife, Selbstreflexion und die Fähigkeit zu wachsen. Seine ehrliche, strukturierte Antwort mit klarem Learning hat ihn zur idealen Führungskraft gemacht. STAR-Methode.
Michael lernte es auf die harte Tour: Wer behauptet, keine Fehler zu machen, wirkt unreflektiert und unrealistisch. Niemand ist perfekt – und das zu akzeptieren ist der erste Schritt zu echter Professionalität.
Deine Misserfolge sind Teil deiner Geschichte. Sie zeigen, dass du mutig genug bist, Risiken einzugehen – und klug genug, daraus zu lernen. Bereite deine Geschichten gut vor, stehe zu deinen Fehlern und zeige überzeugend, wie sie dich besser gemacht haben.
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