Wie Robin sich selbst treu blieb und genau deshalb die Stelle bekam
Robin saß im dritten Vorstellungsgespräch für eine Position als Creative Director. Die bisherigen Runden waren gut gelaufen, aber Robin spürte: Alle versuchten, eine perfekte, makellose Version von sich zu präsentieren. Es fühlte sich unecht an.
Als die CEO fragte: "Erzählen Sie mir von Ihrer größten Schwäche", entschied sich Robin für Ehrlichkeit statt für die übliche "Ich bin zu perfektionistisch"-Floskel.
"Ich brauche Zeit, um kreative Entscheidungen zu treffen. Manchmal frustriert das Kollegen, die schnelle Antworten wollen. Ich kann nicht 'on demand' kreativ sein – ich brauche Raum zum Denken. Gleichzeitig liefere ich deshalb durchdachte, starke Konzepte statt schnelle, mittelmäßige Ideen. Ich habe gelernt, das zu kommunizieren und gemeinsam mit Teams Timelines zu setzen, die Raum für Qualität lassen."
Die CEO lehnte sich zurück und nickte: "Das ist die ehrlichste Antwort, die ich heute gehört habe. Und genau diese Reflexionsfähigkeit brauchen wir."
Robin bekam die Stelle. Die CEO sagte später: "Die anderen Kandidaten haben versucht, uns zu beeindrucken. Sie haben uns gezeigt, wer Sie wirklich sind – und das ist es, was zählt."
Im Gegensatz dazu stand Stefanie. Sie hatte ähnliche Qualifikationen, aber im Interview wirkte sie wie eine gut geölte Maschine: Perfekte Antworten, keine Ecken und Kanten, alles glatt poliert. Die Interviewer konnten nicht durchdringen, wer sie wirklich ist. Die Absage kam mit dem Feedback: "Wir konnten kein echtes Gefühl dafür bekommen, ob sie ins Team passt."
Was bedeutet Authentizität im Interview – und warum ist sie so schwierig?
Authentizität im Interview ist ein Balanceakt. Zu viel Authentizität ("Ich hasse früh aufstehen und arbeite ungern unter Druck") schadet. Zu wenig Authentizität (perfekte, vorprogrammierte Antworten) wirkt unecht. Die Kunst liegt in der Mitte: Echt sein innerhalb professioneller Grenzen.
Warum Authentizität wichtig ist:
- Vertrauen aufbauen: Menschen vertrauen Menschen, die echt wirken
- Cultural Fit zeigen: Nur wenn du authentisch bist, können Interviewer bewerten, ob du ins Team passt
- Langfristige Zufriedenheit: Wenn du dich verstellen musst, um den Job zu bekommen, wirst du dich auch im Job verstellen müssen – das ist auf Dauer anstrengend
- Abgrenzung von anderen: Perfekt polierte Kandidaten sind austauschbar. Authentische Kandidaten bleiben im Gedächtnis
Studien zeigen: Die meisten Hiring Manager bewerten Authentizität als wichtiger als makellose Perfektion und können erkennen, wenn jemand sich verstellt.
Authentizität bedeutet nicht, ungefiltert alles zu sagen. Es bedeutet: Sei ehrlich über deine Stärken UND Schwächen, zeige deine echte Persönlichkeit innerhalb professioneller Grenzen. Stärken und Schwächen.
Die vier Säulen authentischer Selbstpräsentation
Säule 1: Ehrliche Selbstreflexion
Das Problem: Viele Kandidaten haben keine echte Selbstkenntnis. Sie wiederholen Phrasen, die sie online gelesen haben.
Die Lösung: Nimm dir vor dem Interview Zeit für echte Selbstreflexion:
- Was sind deine echten Stärken – nicht die, die du denkst, dass du haben solltest?
- Was sind deine echten Schwächen – nicht "Ich arbeite zu viel"?
- Was motiviert dich wirklich – Geld, Impact, Lernen, Menschen?
- Welche Arbeitsumgebung passt zu dir – schnell und chaotisch oder strukturiert und planbar?
- Was sind deine echten Werte – nicht die, die gut klingen?
Lena's Übung: Sie schrieb vor jedem Interview drei Listen:
- 5 Dinge, die ich wirklich gut kann
- 3 Dinge, an denen ich aktiv arbeite
- 3 Werte, die mir nicht verhandelbar sind
Diese Listen halfen ihr, authentisch und gleichzeitig klar zu kommunizieren.
Säule 2: Geschichten statt Phrasen
Phrase (unecht): "Ich bin ein Teamplayer mit starker Kommunikationsfähigkeit."
Geschichte (authentisch): "Letztes Jahr hatten wir ein Projekt, wo Design und Engineering komplett unterschiedliche Visionen hatten. Ich habe beide Seiten an einen Tisch gebracht, jedem Raum gegeben zu erklären, warum ihre Perspektive wichtig ist. Am Ende haben wir einen Kompromiss gefunden, den alle mittragen konnten. Das hat mir gezeigt, wie wichtig echte Kommunikation ist – nicht nur reden, sondern verstehen."
Die zweite Version ist authentisch, greifbar und glaubwürdig.
Säule 3: Schwächen ehrlich benennen (mit Wachstum zeigen)
Die "Schwächen-Frage" ist ein Klassiker – und die meisten Antworten sind unecht.
Unechte Antworten:
- "Ich bin zu perfektionistisch" (getarnte Stärke)
- "Ich arbeite zu viel" (ebenfalls getarnte Stärke)
- "Ich kann schlecht Nein sagen" (Klischee)
Authentische Antworten mit Struktur:
1. Echte Schwäche benennen
"Ich neige dazu, in Details zu versinken und manchmal das Big Picture aus den Augen zu verlieren."
2. Kontext geben (wann wird's zum Problem?)
"Das ist besonders bei schnelllebigen Projekten problematisch, wo schnelle Entscheidungen wichtiger sind als Perfektion."
3. Zeigen, was du dagegen tust
"Ich arbeite bewusst daran: Ich setze mir Time-Limits für Entscheidungen, hole früh Feedback ein und frage mich regelmäßig: 'Ist das Detail relevant fürs Ziel?' Das hilft mir, fokussiert zu bleiben."
4. Positiv abschließen
"Ich werde nie jemand sein, der überhastet entscheidet – aber ich habe gelernt, die Balance zu finden."
Säule 4: Fragen stellen, die dir wirklich wichtig sind
Authentizität zeigt sich auch in den Fragen, die du stellst. Stelle keine Fragen, von denen du denkst, dass sie gut klingen – stelle Fragen, die dir wirklich wichtig sind.
Unecht: "Welche Wachstumschancen gibt es?" (wenn es dir eigentlich um Work-Life-Balance geht)
Authentisch: "Wie würden Sie die Work-Life-Balance hier beschreiben? Mir ist wichtig, nach der Arbeit abschalten zu können."
Ja, das ist ehrlicher. Und ja, manche Unternehmen werden das negativ sehen. Aber willst du wirklich bei einem Unternehmen arbeiten, das Work-Life-Balance als Schwäche sieht?
Wenn deine authentischen Fragen zu einer Absage führen, hat das Interview seinen Job gemacht: Es hat dir gezeigt, dass der Fit nicht stimmt. Das ist gut – nicht schlecht.
Die STAR-Methode mit authentischen Details
STAR (Situation, Task, Action, Result) funktioniert am besten, wenn die Details authentisch sind – nicht konstruiert.
Konstruiertes STAR (unecht):
"Situation: Wir hatten ein schwieriges Projekt. Task: Ich sollte es lösen. Action: Ich habe hart gearbeitet und ein Team geführt. Result: Erfolg."
Das ist vage, austauschbar und unglaubwürdig.
Authentisches STAR:
Situation: "Wir sollten ein neues CRM-System einführen. Das Team war skeptisch – viele hatten Angst vor Veränderung und zusätzlicher Arbeit."
Task: "Meine Aufgabe als Projektleiterin war es, das Team mitzunehmen und das System erfolgreich einzuführen."
Action: "Ich habe nicht direkt mit der Einführung gestartet. Erst habe ich mit jedem Einzelnen gesprochen: Was sind deine Bedenken? Was brauchst du? Dann haben wir gemeinsam Pilotfeatures definiert, die direkt ihre Pain Points lösen. Ich habe auch zugegeben, dass ich selbst kein CRM-Experte bin und wir gemeinsam lernen."
Result: "Die Einführung lief deutlich besser als erwartet. 85% Adoption in den ersten drei Monaten – weil das Team sich gehört fühlte. Und ich habe gelernt: Ehrlichkeit über eigene Unsicherheiten schafft Vertrauen."
Diese Version ist menschlich, detailreich und authentisch.
Häufige Authentizitäts-Fallen – und wie du sie vermeidest
Falle 1: Übertriebene Bescheidenheit
Problem: "Ich hatte Glück" oder "Das Team hat das alles gemacht, ich habe nur geholfen"
Übung macht den Meister: Finde deine authentische Interview-Stimme. Du erhältst sofort Feedback zu deinen Antworten.
Warum problematisch: Es minimiert deine Leistung und wirkt unsicher.
Authentische Alternative: "Ich bin stolz auf das Ergebnis. Natürlich war es ein Teamerfolg, aber meine Rolle war es, [konkrete Beiträge]. Das hat funktioniert, weil ich [Stärke] eingebracht habe."
Falle 2: Übertriebenes Selbstmarketing
Problem: "Ich bin der Beste in meinem Feld" oder "Ich kann alles"
Warum problematisch: Wirkt arrogant und unrealistisch.
Authentische Alternative: "Ich bin sehr gut in [spezifische Skills], gleichzeitig gibt es Bereiche wie [X], wo ich noch lerne. Ich bin selbstbewusst, aber nicht naiv über meine Entwicklungsfelder."
Falle 3: Zu viel persönliche Information
Problem: Detaillierte Geschichten über private Probleme, Beziehungen, Gesundheit
Warum problematisch: Überschreitet professionelle Grenzen.
Authentische Alternative: "Ich hatte eine persönliche Herausforderung, die mich ein paar Monate aus dem Beruf genommen hat. Das ist jetzt gelöst und ich bin voll einsatzfähig." (Details nur wenn direkt gefragt und relevant)
Falle 4: Negative über frühere Arbeitgeber
Problem: "Mein alter Chef war inkompetent" oder "Die Firma war ein Chaos"
Warum problematisch: Wirkt unprofessionell und lästerhaft.
Authentische Alternative: "Die Unternehmenskultur dort und meine Arbeitsweise haben nicht optimal zusammengepasst. Ich habe viel gelernt, aber ich suche jetzt ein Umfeld, das [deine Werte] betont."
Die Regel: Sei so authentisch wie möglich, so professionell wie nötig. Wenn eine Information für die Rolle nicht relevant ist und deine Professionalität untergraben könnte – lass sie weg.
Authentizität in verschiedenen Interview-Phasen
Telefon-Screening (erste Runde)
Fokus: Authentisch über Motivation und Fit sein
Beispiel: "Ich bewerbe mich nicht generell bei Startups – sondern gezielt bei Unternehmen im Sustainability-Bereich. Das ist mir persönlich wichtig, nicht nur professional."
Fachliches Interview (zweite Runde)
Fokus: Authentisch über deine Fähigkeiten und Grenzen sein
Beispiel: "Ich kenne mich gut mit Python aus, aber nicht mit Go. Wenn das relevant ist, bin ich bereit, es zu lernen – aber ich will ehrlich sein über meinen aktuellen Stand."
Cultural-Fit / Team-Interview
Fokus: Authentisch über deine Persönlichkeit und Arbeitsweise sein
Beispiel: "Ich bin introvertiert – ich brauche Zeit für mich, um zu reflektieren. In Meetings bin ich vielleicht nicht der Lauteste, aber ich bringe durchdachte Perspektiven."
Final Interview mit Leadership
Fokus: Authentisch über deine Ziele und Erwartungen sein
Beispiel: "Langfristig will ich Führungsverantwortung übernehmen. Ich bin transparent: Wenn diese Rolle keine Entwicklungsperspektive in diese Richtung bietet, ist das nicht unbedingt ein Deal-Breaker, aber ich möchte es wissen."
Branchenspezifische Authentizitäts-Strategien
Kreative Branchen (Design, Marketing, Werbung)
Authentizität wird hier besonders geschätzt – Individualität ist ein Asset.
Zeige: Deine echte kreative Perspektive, deine Inspirationen, deine Arbeitsweise
Beispiel: "Ich hole mir Inspiration oft aus unerwarteten Quellen – neulich habe ich ein Kampagnen-Konzept aus einem Museum-Besuch entwickelt."
Corporate / Consulting
Hier ist Professionalität wichtig, aber Authentizität macht dich menschlich.
Zeige: Professionalität mit menschlichen Momenten
Beispiel: "Ich bin strukturiert und prozessorientiert – gleichzeitig weiß ich, wann Prozesse im Weg stehen und Pragmatismus gefragt ist."
Tech und Engineering
Hier wird technische Ehrlichkeit geschätzt.
Zeige: Klarheit über technische Fähigkeiten und Lernbereitschaft
Beispiel: "Ich habe das Problem mit Algorithmus X gelöst, bin aber nicht sicher, ob das die optimalste Lösung war. Gibt es einen besseren Ansatz?"
Non-Profit und Social Impact
Hier ist Authentizität bezüglich Werten entscheidend.
Zeige: Echte Verbindung zur Mission
Beispiel: "Ich bewerbe mich nicht nur wegen des Jobs – ich habe die letzten drei Jahre ehrenamtlich in diesem Bereich gearbeitet. Das ist mir persönlich wichtig."
Remote-Interviews: Authentizität über Zoom
Online-Interviews erschweren Authentizität – Körpersprache ist eingeschränkt, Verbindungen schwerer aufzubauen.
Strategien:
- Zeige deine Umgebung: Ein authentisches Setup (sauber, aber persönlich) ist besser als ein steriler Hintergrund
- Nutze Mimik extra: Lächle mehr, zeige Reaktionen – das kompensiert die digitale Distanz
- Sprich über den Elefanten im Raum: "Online-Interviews sind komisch, oder? Ich hoffe, wir können trotzdem ein echtes Gespräch führen."
- Sei menschlich bei Tech-Problemen: "Entschuldigung, mein Internet streikt gerade – das ist echt frustrierend" (statt perfekt zu tun)
Die ultimative Test-Frage: "Erzählen Sie von sich"
Diese offene Frage ist der ultimative Authentizitäts-Test. Die meisten Kandidaten ratterten ihren CV runter – langweilig und unecht.
Authentische Struktur:
1. Kurze professionelle Zusammenfassung (30 Sek)
"Ich bin Marketing Managerin mit 7 Jahren Erfahrung, vor allem in B2B SaaS."
2. Persönlicher Kontext (30 Sek)
"Ich bin durch Zufall ins Marketing gekommen – ich habe Psychologie studiert und mich gefragt: Wie beeinflusst man Entscheidungen? Das hat mich zu Marketing geführt."
3. Jetzt und Motivation (30 Sek)
"Aktuell suche ich nach einer Rolle, wo ich strategischer arbeiten kann. Ich will nicht nur Kampagnen umsetzen, sondern mitgestalten, wohin das Unternehmen geht. Deshalb interessiert mich Ihre Stelle."
4. Persönliche Note (15 Sek)
"Und wenn ich nicht arbeite, bin ich meistens beim Klettern – das hilft mir, den Kopf freizubekommen."
Diese Antwort ist professionell, persönlich und authentisch. Sie zeigt: Eine echte Person, nicht eine CV-Liste.
Fazit
Robin hat es richtig gemacht: Authentizität innerhalb professioneller Grenzen. Die Bereitschaft, echt zu sein – mit Stärken UND Schwächen – hat Vertrauen geschaffen und die Stelle gebracht.
Stefanie lernte: Perfektion ist austauschbar. Interviewer treffen hunderte glatt polierte Kandidaten – sie erinnern sich an die authentischen.
Authentizität im Interview ist ein Balanceakt, aber ein lohnender. Sie schafft Vertrauen, zeigt Cultural Fit und sorgt dafür, dass du nicht nur einen Job bekommst, sondern den RICHTIGEN Job – einen, wo du du selbst sein kannst.
Sei ehrlich über deine Stärken. Sei ehrlich über deine Schwächen (mit Wachstum). Erzähle echte Geschichten. Stelle Fragen, die dir wirklich wichtig sind. Und vor allem: Hab den Mut, du selbst zu sein – auch wenn das bedeutet, dass manche Stellen nicht passen. Die richtige Stelle wird passen – und dort wirst du aufblühen.
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