Der Moment, der über 180.000 Euro entschied
Minute 47 im Gespräch. Alles lief perfekt für Markus Fischer. Der CTO nickte bei seinen technischen Ausführungen. Die HR-Leiterin lächelte. Dann kam die Frage: "Was sind Ihre Gehaltsvorstellungen?" Gehaltsvorstellung.
Markus hatte 75.000 Euro recherchiert als Marktwert. Er wollte 80.000 fordern. Aber in der Drucksituation, weil er den Job unbedingt wollte, sagte er: "Ich stelle mir etwas zwischen 65.000 und 75.000 vor."
Die HR-Leiterin notierte etwas. "Das passt in unseren Rahmen." Das Angebot kam eine Woche später: 68.000 Euro.
Markus hatte sich selbst 12.000 Euro pro Jahr gekostet. Über drei Jahre: 36.000 Euro. Über eine durchschnittliche Karriere mit diesem Startpunkt: über 180.000 Euro. Alles verloren in einem Satz.
Später erfuhr er von einem Kollegen, der zur gleichen Zeit eingestellt wurde: Das Budget für die Stelle war bis 85.000 Euro. Markus hätte bekommen können, was er wollte – wenn er nur richtig verhandelt hätte.
Wann wird über Geld gesprochen? Die drei Zeitpunkte
Personalberaterin Claudia Schneider führt seit 15 Jahren Gehaltsgespräche. Sie kennt die drei typischen Zeitpunkte:
Zeitpunkt 1: Im ersten Telefonat (Pre-Screening)
"Was sind Ihre Gehaltsvorstellungen?" – oft als erstes gefragt, um zu prüfen, ob du überhaupt in den Rahmen passt.
Die Falle: Zu früh eine Zahl nennen, bevor du Wert demonstriert hast.
Die Strategie: "Ich möchte gerne erst mehr über die Rolle erfahren, um eine fundierte Einschätzung zu geben. Was ist denn der vorgesehene Rahmen für diese Position?"
Das verschiebt die Verantwortung zurück. Oft nennen sie dann einen Rahmen – und du weißt, womit du arbeitest.
Zeitpunkt 2: Im persönlichen Interview
Nach 30-40 Minuten Gespräch, wenn das inhaltliche vorbei ist. Hier hast du schon Wert demonstriert, aber noch kein Angebot.
Die Falle: Eine konkrete Zahl nennen, statt einen Rahmen.
Die Strategie: "Basierend auf meiner Erfahrung und meiner Recherche des Marktes sehe ich für diese Rolle einen Rahmen von X bis Y Euro. Wo positionieren Sie die Stelle?"
Wichtig: X sollte dein Wunschgehalt sein, Y etwa 10-15% darüber. Das gibt Verhandlungsspielraum. verhandelst ohne fordernd zu wirken.
Zeitpunkt 3: Bei der Angebotsverhandlung
Du hast das Angebot. Jetzt wird konkret verhandelt.
Hier gilt: Du hast die stärkste Verhandlungsposition. Sie wollen dich, du bist durch alle Runden gekommen.
Goldene Regel: Wer zuerst eine konkrete Zahl nennt, verliert Verhandlungsmacht. Versuche immer, sie dazu zu bringen, zuerst einen Rahmen zu nennen.
Die Psychologie des Timings: Warum Lisa 15.000 Euro mehr bekam
Lisa Weber wurde in zwei Runden interviewed. In Runde 1 kam die Gehaltsfrage. Sie sagte: "Ich möchte gerne erst nach unserem ausführlichen Gespräch eine fundierte Antwort geben. Ist es okay, wenn wir das in der zweiten Runde besprechen?"
Die HR-Managerin nickte. In Runde 2 hatte Lisa brilliert. Alle waren überzeugt. Dann kam die Gehaltsfrage wieder. Jetzt hatte Lisa Verhandlungsmacht.
Sie nannte ihren Rahmen: 90.000-100.000 Euro. Die HR-Managerin schluckte kurz, sagte dann: "Das ist am oberen Ende unseres Rahmens, aber nach den Gesprächen denke ich, wir können da hinkommen."
Das Angebot: 95.000 Euro plus Bonus-Möglichkeit.
Der Unterschied zu ihrem alten Gehalt: 70.000 Euro. Ein Sprung von 25.000 Euro – weil sie das Timing beherrschte.
Hätte sie die gleiche Zahl in Runde 1 genannt? Vielleicht wäre sie gar nicht zu Runde 2 eingeladen worden. "Zu teuer," hätten sie gedacht. Aber nachdem sie überzeugt hatte: "Sie ist es wert."
Die Formulierungen, die Geld kosten (und die, die Geld bringen)
Gehaltscoach Dr. Michael Krause analysierte 500 Gehaltsverhandlungen. Bestimmte Formulierungen korrelieren stark mit niedrigeren Angeboten.
Formulierungen, die Geld kosten
"Ich würde mir X vorstellen..."
Das "würde" ist schwach. Es signalisiert Unsicherheit.
"Ich brauche mindestens X..."
Das "brauchen" ist zu persönlich. Deine privaten Kosten interessieren nicht. Nur dein Marktwert.
"In meiner letzten Position hatte ich X..."
Das verankert dich am alten Gehalt, nicht am Marktwert.
"Ich bin flexibel..."
Übersetzung: "Ich nehme auch weniger."
Formulierungen, die Geld bringen
"Basierend auf meiner Recherche und meiner Expertise liegt der Marktwert für diese Rolle bei X bis Y."
Stark. Fundiert. Objektiv verankert.
"Für diese Position mit [Verantwortung A], [Verantwortung B] und [Verantwortung C] sehe ich einen Wert von X."
Verknüpft Gehalt mit Wert. Du verkaufst nicht dich, sondern den Output.
"Ich bringe [konkrete Expertise] mit, die [messbaren Wert] schafft. Dafür sehe ich eine Vergütung von X als angemessen."
ROI-Argumentation. Du bist keine Kostenstelle, sondern eine Investition.
"Meine Gehaltsvorstellung liegt bei X. Wie sehen Sie das?"
Klar, dann öffnend für Dialog. Keine Rechtfertigung, sondern Verhandlungseinladung.
Thomas Richter nutzte die letzte Formulierung. "Meine Gehaltsvorstellung liegt bei 95.000 Euro. Wie sehen Sie das?" Der Hiring Manager sagte: "Unser initialer Rahmen war 80.000. Aber ich sehe Ihren Punkt. Lassen Sie mich mit dem Budget-Owner sprechen." Eine Woche später: 90.000 Euro plus bessere Benefits. Thomas hätte die 80.000 akzeptiert – aber er fragte nach mehr und bekam es. zusätzliche Benefits.
Die Recherche-Strategie: Was du wirklich wert bist
Du kannst nicht selbstbewusst verhandeln, wenn du nicht weißt, was der Markt zahlt. Julia Becker investierte 8 Stunden in Gehaltsrecherche – und es zahlte sich mit 18.000 Euro mehr aus.
Quelle 1: Gehaltsdatenbanken
Kununu, Glassdoor, Gehalt.de – sie zeigen Bandbreiten. Aber Vorsicht: Die Daten sind oft alt oder ungenau. Nutze mehrere Quellen, bilde einen Durchschnitt.
Quelle 2: Recruiters und Headhunter
Wenn du mit Recruitern sprichst (auch wenn nicht für diese spezifische Stelle), frage: "Was zahlt der Markt aktuell für [Position] mit [X Jahren Erfahrung]?" Sie kennen aktuelle Zahlen, weil sie täglich verhandeln.
Quelle 3: Networking
Frage Menschen in ähnlichen Rollen. Nicht "Was verdienst du?" (zu direkt), sondern "Ich bereite mich auf Gehaltsverhandlungen vor – was ist realistisch für [Rolle] in [Stadt] mit [Erfahrung]?"
Quelle 4: Die Stellenanzeige selbst
Manchmal steht dort ein Rahmen. Wenn "60.000-80.000" steht, interpretiere das richtig: 60.000 ist für jemand Unerfahrenes. 80.000 ist für jemanden mit Erfahrung. Wenn du qualifiziert bist, ziel auf 75.000-80.000.
Julias Recherche ergab: Ihr Marktwert lag zwischen 75.000 und 90.000, abhängig von Unternehmensgröße und Standort. Sie zielte auf 85.000. Das Angebot: 82.000 plus Bonus. Ohne Recherche hätte sie vielleicht 70.000 gefordert und 68.000 bekommen.
Insider-Wissen: Große Konzerne haben oft starre Gehaltsstrukturen. Startups haben flexible Strukturen, aber weniger Geld. Mittelständler sind oft der Sweet Spot – flexibel UND zahlen gut, wenn du überzeugst.
Die Anker-Technik: Wie du die Verhandlung rahmt
In Verhaltensökonomie gibt es das "Anchoring": Die erste genannte Zahl beeinflusst alle folgenden Verhandlungen.
Wenn sie zuerst einen Rahmen nennen ("Wir haben 60.000-70.000 eingeplant"), ist 70.000 dein Anker. Du verhandelst von dort.
Wenn du zuerst einen Rahmen nennst ("Ich sehe 80.000-90.000"), ist 80.000 der Anker. Sie verhandeln von dort.
Strategie: Versuche, einen Anker zu setzen, der über deinem Wunschgehalt liegt.
Übung macht den Meister: Trainiere selbstbewusste Gehaltsverhandlungen. Du erhältst sofort Feedback zu deinen Antworten.
Anna Fischer wollte 75.000. Sie nannte als Rahmen: 80.000-90.000. Das Angebot kam bei 78.000. Hätte sie 70.000-80.000 genannt, wäre es vermutlich bei 72.000 gelandet.
Wichtig: Der Anker darf nicht absurd sein. Wenn der Marktwert 70.000 ist und du sagst 150.000, wirkst du uninformiert. Aber 10-20% über Marktwert ist ambitioniert, aber vertretbar.
Wenn sie zu früh nach deinem aktuellen Gehalt fragen
"Was verdienen Sie aktuell?" – eine der heikelsten Fragen.
Das Problem: Wenn dein aktuelles Gehalt niedrig ist, verankert es dich dort. Wenn es hoch ist, könntest du "zu teuer" wirken.
Strategie 1: Umleiten
"Mein aktuelles Gehalt reflektiert eine andere Rolle in einem anderen Kontext. Relevanter wäre: Was ist für diese Rolle angemessen?"
Strategie 2: Total Compensation nennen
"Mein aktuelles Gesamtpaket – Grundgehalt, Bonus, Benefits, Weiterbildung – liegt bei etwa X." Das ist oft 20-30% höher als reines Grundgehalt.
Strategie 3: In manchen Ländern/Kontexten – verweigern
"Ich würde lieber nicht über mein aktuelles Gehalt sprechen – es ist zwischen mir und meinem Arbeitgeber. Aber ich kann gerne über meine Erwartungen für diese Rolle sprechen."
In Deutschland ist das rechtlich okay – du musst dein aktuelles Gehalt nicht offenlegen. Aber es erfordert Selbstbewusstsein.
Michael Braun nutzte Strategie 2. Sein Grundgehalt war 62.000. Aber mit Bonus, Firmenwagen-Leasing, Weiterbildungsbudget und Altersvorsorge kam er auf etwa 78.000 Total Compensation. Er sagte: "Mein aktuelles Paket liegt bei etwa 78.000." Das neue Angebot: 80.000 Grundgehalt. Er hätte nie 80.000 bekommen, wenn er "62.000" als Anker gesetzt hätte.
Die Stille nach der Zahl: Der unbequemste Moment
Du nennst deine Zahl. "Ich sehe ein Gehalt von 85.000 Euro."
Dann: Stille. Sie notieren. Sie schauen. Sie sagen... nichts.
Diese Stille ist eine Verhandlungstechnik. Sie testen: Wirst du unsicher? Rechtfertigst du dich? Relativierst du?
Nina Hoffmann erlebte das. Sie nannte 82.000 Euro. Der Hiring Manager schaute sie an. 10 Sekunden Stille. Nina wollte etwas sagen – "Aber ich bin flexibel" lag ihr auf der Zunge. Sie biss sich auf die Lippe und schwieg.
Weitere 5 Sekunden. Dann sagte der Manager: "Das ist am oberen Ende unseres Rahmens. Lassen Sie mich sehen, was ich tun kann."
Das Angebot: 80.000 plus bessere Benefits.
Hätte Nina in der Stille nachgegeben ("Aber ich bin flexibel"), wäre es vielleicht bei 75.000 gelandet.
Die Lektion: Halte die Stille aus. Wer zuerst nachgibt, verliert.
Stille-Übung: Bitte einen Freund, dir eine Frage zu stellen, und dann 20 Sekunden zu schweigen. Übe, diese Stille auszuhalten, ohne nervös zu werden. Diese 20 Sekunden im Training helfen bei den 10 Sekunden im echten Gespräch.
Wenn das Angebot zu niedrig ist: Die Gegen-Strategie
"Wir können Ihnen 65.000 anbieten." Aber du wolltest 80.000. Der Abstand ist groß. Was nun?
Fehler 1: Sofort ablehnen
"Das ist zu wenig" – wirkt abweisend, beendet Gespräch.
Fehler 2: Sofort akzeptieren
"Okay" – du verschenkst Verhandlungsmacht.
Die richtige Reaktion: Professionalverhandeln
Schritt 1: Danke und Zeit
"Danke für das Angebot. Darf ich darüber nachdenken und mich morgen melden?"
Das gibt dir Bedenkzeit und zeigt: Du entscheidest nicht impulsiv.
Schritt 2: Gegen-Angebot vorbereiten
Analysiere: Wo ist die Lücke? Ist sie bei Grundgehalt, Benefits, Bonus?
Schritt 3: Wertebasierte Argumentation
"Ich schätze das Angebot sehr. Basierend auf meiner Recherche und den Verantwortlichkeiten der Rolle hatte ich [X] im Kopf. Können wir über eine Annäherung sprechen?"
Schritt 4: Paket-Verhandlung
Wenn Grundgehalt fix ist: "Ich verstehe, dass 65.000 Ihr Rahmen für Grundgehalt ist. Können wir über Performance-Bonus, Weiterbildungsbudget oder Home-Office-Ausstattung sprechen?"
Laura Meier bekam 68.000 angeboten, wollte 80.000. Sie sagte: "Danke für das Angebot. Ich sehe den Wert dieser Rolle bei 80.000, basierend auf [Verantwortung A, B, C]. Können wir uns in der Mitte treffen?"
Nach zwei Gesprächsrunden: 74.000 Grundgehalt plus 6.000 Euro Jahresbonus bei Zielerreichung. Total: 80.000 möglich. Sie hatte bekommen, was sie wollte – nur strukturiert anders.
Die Benefits-Verhandlung: Wenn Gehalt fix ist
Manchmal ist das Grundgehalt nicht verhandelbar – tarifgebunden, starre Struktur, Budget-Limite. Dann verhandle Benefits.
Verhandelbare Benefits (oft übersehen)
- Zusätzliche Urlaubstage: 2-5 Tage mehr sind oft möglich
- Home-Office-Regelung: Flexibilität statt Geld
- Weiterbildungsbudget: 2.000-5.000 Euro/Jahr für Kurse, Konferenzen
- Technologie-Budget: Laptop, Monitor, Equipment für Home Office
- Firmenwagen oder Mobilitätsbudget: Geldwerter Vorteil
- Signing Bonus: Einmalige Zahlung zum Start
- Frühere Gehaltserhöhungs-Review: Statt nach 12 Monaten nach 6 Monaten
- Betriebliche Altersvorsorge: Arbeitgeber-Zuschuss erhöhen
Robert Schneider bekam 70.000 angeboten, fix. Er verhandelte: 3 zusätzliche Urlaubstage, 3.000 Euro Weiterbildungsbudget, Laptop-Upgrade auf MacBook Pro, Home-Office 3 Tage/Woche garantiert. Geldwert dieser Benefits: etwa 8.000 Euro/Jahr. Effektiv hatte er 78.000 erreicht.
Der Timing-Fehler: Zu früh oder zu spät verhandeln
Sophie Weber machte alles richtig – bis sie den Timing-Fehler machte. Im ersten Gespräch war sie so begeistert, dass sie sagte: "Das klingt großartig, das Gehalt ist mir nicht so wichtig."
Fatal. Beim Angebot: Am unteren Rand der Skala. Als sie dann verhandeln wollte, sagten sie: "Sie haben doch selbst gesagt, Gehalt ist nicht so wichtig."
Die Lektion: Sage nie, dass Geld unwichtig ist. Auch wenn es wahr ist. Es limitiert deine spätere Verhandlungsmacht.
Besser: "Gehalt ist ein Faktor, aber die Rolle und das Team sind mir genauso wichtig. Ich bin sicher, wir finden eine faire Lösung."
Das signalisiert: Geld ist relevant, aber ich bin kein Mercenary. Balance.
Die Kunst des letzten Prozents: Verhandlung bis zum Ende
Das Angebot ist fast perfekt. 83.000 Euro. Du wolltest 85.000. Lohnt sich die Verhandlung für 2.000 Euro?
Ja. Über ein Jahr: 2.000. Über zehn Jahre mit Erhöhungen: etwa 25.000 Euro. Plus: Es signalisiert Verhandlungsgeschick.
Aber: Tue es elegant. "Ich bin sehr interessiert und das Angebot ist stark. Können wir auf 85.000 kommen? Das wäre für mich perfekt."
Oft sagen sie ja. Weil: Du bist durch alle Runden, sie wollen dich, 2.000 Euro sind im Kontext der Gesamtkosten einer Neueinstellung (Recruiter-Fees, Onboarding-Zeit) marginal.
Daniel Fischer versuchte es. "Das Angebot ist sehr gut bei 78.000. Können wir auf 80.000 runden? Das wäre für mich der perfekte Start." Der HR-Manager lächelte: "Für 2.000 Euro verlieren wir Sie nicht. 80.000 ist okay."
2.000 Euro mehr – in 30 Sekunden verhandelt.
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