Wie Markus seine fehlende Cloud-Erfahrung in eine Stärke verwandelte
Markus saß im Interview für eine Senior DevOps Position. Alles lief gut – bis die Interviewerin fragte: "Ich sehe, Sie haben mit On-Premise Infrastruktur gearbeitet. Wie viel Cloud-Erfahrung haben Sie konkret mit AWS?" Berufseinsteiger.
Markus hatte zwei Optionen: Ausweichen oder ehrlich sein. Er wählte Ehrlichkeit. ehrlich.
"Ehrlich gesagt: Meine AWS-Erfahrung ist begrenzt. Ich habe einige kleinere Projekte mit EC2 und S3 gemacht, aber ich bin kein AWS-Experte. Was ich aber habe, ist tiefes Verständnis für Infrastructure-as-Code, Automation und System-Design. Diese Prinzipien sind platform-agnostisch. Ich habe in den letzten drei Wochen angefangen, AWS Solutions Architect Tutorials zu machen – nicht um zu beeindrucken, sondern weil mich das Thema wirklich interessiert. Ich bin ein schneller Lerner und ich kenne meine Wissenslücken genau – das ist oft wertvoller als Halbwissen."
Die Interviewerin nickte anerkennend: "Das schätze ich. Die meisten würden versuchen, ihre Erfahrung aufzublasen. Sie sind ehrlich über Ihre Grenzen und zeigen Initiative. Genau das brauchen wir."
Markus bekam die Stelle – und ein strukturiertes AWS-Onboarding-Programm. Sein Chef sagte später: "Wir wollten niemanden, der vorgibt, alles zu können. Wir wollten jemanden, der weiß, was er nicht weiß, und bereit ist zu lernen."
Im Gegensatz dazu stand Julian. Er übertrieb seine Cloud-Kenntnisse im Interview, wurde eingestellt – und nach drei Monaten gekündigt, weil er fundamentale Konzepte nicht verstand. Die fehlende Ehrlichkeit kostete ihn nicht nur den Job, sondern auch seinen Ruf in der Branche.
Warum fachliche Lücken kein Deal-Breaker sind – wenn du richtig damit umgehst
Niemand kann alles. Selbst Senior-Experten haben Wissenslücken. Der Unterschied zwischen guten und schlechten Kandidaten ist nicht, ob sie Lücken haben – sondern wie sie damit umgehen.
Warum Ehrlichkeit über Lücken ein Vorteil ist:
- Vertrauen aufbauen: Interviewer schätzen Selbstreflexion mehr als aufgeblähte Claims
- Realistische Erwartungen setzen: Wenn du im Interview ehrlich bist, gibt es keine bösen Überraschungen nach dem Onboarding
- Lernbereitschaft zeigen: Bewusstsein über Wissenslücken signalisiert Growth Mindset
- Überforderung vermeiden: Lieber ehrlich sein und den richtigen Job bekommen als lügen und im falschen Job scheitern
Eine LinkedIn-Studie aus 2024 zeigt: 89% der Hiring Manager sagen, dass Kandidaten, die ehrlich über Wissenslücken sind und Lernbereitschaft zeigen, bevorzugt werden gegenüber Kandidaten, die vorgeben, alles zu können.
Fachliche Lücken ehrlich anzusprechen bedeutet nicht, sich klein zu machen. Es bedeutet: Selbstbewusst zeigen, was du kannst – und transparent benennen, wo du noch wachsen willst.
Die "Acknowledge-Bridge-Grow"-Methode
Diese Drei-Schritt-Methode hilft dir, fachliche Lücken professionell anzusprechen:
Schritt 1: Acknowledge (Anerkennen)
Benenne die Lücke ehrlich und direkt. Kein Drumherum-Reden, kein Beschönigen.
Beispiel: "Sie haben recht – ich habe noch nicht mit React gearbeitet. Meine Frontend-Erfahrung liegt primär bei Vue.js."
Warum das funktioniert: Du zeigst Selbstbewusstsein und Ehrlichkeit. Das schafft Vertrauen.
Schritt 2: Bridge (Brücke schlagen)
Zeige verwandte Skills oder Erfahrungen, die transferierbar sind.
Beispiel: "Allerdings habe ich drei Jahre intensive Vue.js-Erfahrung. Die Konzepte – Component-Architektur, State Management, Lifecycle – sind sehr ähnlich. Ich verstehe die fundamentalen Frontend-Patterns."
Warum das funktioniert: Du zeigst, dass die Lücke nicht so groß ist, wie sie scheint – du hast das konzeptuelle Fundament.
Schritt 3: Grow (Wachstum zeigen)
Demonstriere, dass du aktiv daran arbeitest, die Lücke zu schließen – oder bereit bist, das zu tun.
Beispiel: "Ich habe in den letzten zwei Wochen angefangen, React zu lernen – ich habe ein kleines Side-Project gebaut, um die Unterschiede zu verstehen. Die Lernkurve ist steiler als gedacht, aber genau solche Herausforderungen mag ich."
Warum das funktioniert: Du zeigst Initiative und Lernbereitschaft – zwei Eigenschaften, die viele Arbeitgeber höher bewerten als vorhandenes Wissen.
Verschiedene Arten von Lücken – und wie du sie ansprichst
Technische Lücken (Tools, Technologien, Frameworks)
Beispiel-Situation: Du bewirbst dich als Data Analyst, aber die Stelle erfordert Tableau-Kenntnisse, die du nicht hast.
Schlechte Antwort: "Tableau kann ich schnell lernen, das ist nicht so schwer."
Gute Antwort: "Ich habe noch nicht mit Tableau gearbeitet, aber ich habe drei Jahre Erfahrung mit Power BI und Google Data Studio. Die Prinzipien – Data Modeling, Visualization Best Practices – sind dieselben. Ich habe mir bereits Tableau Public Demos angeschaut und sehe: Die Logik ist vertraut. Geben Sie mir zwei Wochen Einarbeitung und ich bin produktiv."
Konzeptuelle Lücken (Methoden, Frameworks, Ansätze)
Beispiel-Situation: Im Consulting-Interview fragst du nach Agile Methodologies, und du hast nur in Waterfall-Projekten gearbeitet.
Schlechte Antwort: "Ich kenne Agile aus Büchern."
Gute Antwort: "Ich habe primär in klassischen Wasserfall-Projekten gearbeitet – das war die Unternehmenskultur. Ich habe aber die Grenzen von Waterfall erlebt: Starre Pläne, spätes Feedback, schwierige Anpassungen. Ich habe mich deshalb in Agile eingelesen, ein Scrum-Master-Training gemacht und in meinem letzten Projekt agile Elemente eingebracht – Daily Standups, iterative Sprints. Ich sehe den Wert und will mehr in diese Richtung arbeiten. Deshalb bewerbe ich mich hier."
Branchen-Lücken (fehlende Domain-Expertise)
Beispiel-Situation: Du bewirbst dich im FinTech-Bereich, kommst aber aus E-Commerce.
Schlechte Antwort: "Branchen sind doch alle ähnlich."
Gute Antwort: "Ich habe keine direkte FinTech-Erfahrung – ich komme aus E-Commerce. Aber: Beide Branchen haben ähnliche Challenges – Payment Processing, User Trust, Regulatory Compliance. Ich habe mich in den letzten Wochen intensiv mit FinTech-Trends beschäftigt: PSD2, Open Banking, Embedded Finance. Ich bringe frische Perspektiven aus einer anderen Branche mit – und gleichzeitig die Demut zu wissen, dass ich FinTech-Spezifika noch lernen muss."
Seniority-Lücken (fehlende Leadership-Erfahrung)
Beispiel-Situation: Du bewirbst dich auf eine Team Lead Position, hast aber noch nie direkt Mitarbeiter geführt.
Schlechte Antwort: "Ich bin sicher, ich kann das."
Gute Antwort: "Ich habe noch keine formale Führungsverantwortung gehabt – das ist korrekt. Aber ich habe in den letzten zwei Jahren Projekte geleitet, wo ich fachlich Teams koordiniert, Konflikte moderiert und Mentoring gemacht habe. Ich weiß: Formale Führung ist nochmal etwas anderes – Personal-Entwicklung, schwierige Gespräche, strategische Verantwortung. Ich bin bereit, das zu lernen, und ich bringe bereits Soft Skills mit, die ich durch Projektleitung entwickelt habe."
Die Regel: Je größer die Lücke, desto wichtiger ist die "Bridge". Zeige verwandte Erfahrungen, transferierbare Skills und konkrete Schritte, die du bereits unternommen hast.
Häufige Fehler beim Ansprechen von Lücken
Fehler 1: Übertreiben oder Lügen
Warum problematisch: Lügen fliegen spätestens im Job auf – und zerstören Vertrauen.
Beispiel: "Ja, ich kann Python" (hast aber nur ein Tutorial gemacht)
Was passiert: Im technischen Interview oder am ersten Arbeitstag wird klar, dass du es nicht kannst. Das ist peinlich und kann zur Kündigung führen.
Alternative: "Ich habe Python-Grundkenntnisse – ich habe Tutorials gemacht und kleine Scripts geschrieben. Für produktionsreife Anwendungen bräuchte ich noch Einarbeitung."
Fehler 2: Sich klein machen
Warum problematisch: Du wirkst unsicher und inkompetent.
Beispiel: "Ich kann eigentlich gar nichts richtig gut, aber ich lerne gerne."
Übung macht den Meister: Trainiere ehrliche und konstruktive Selbstdarstellung. Du erhältst sofort Feedback zu deinen Antworten.
Alternative: "Ich bin sehr gut in X und Y. Z ist noch ein Entwicklungsfeld für mich, aber ich arbeite aktiv daran."
Fehler 3: Lücken ignorieren oder ausweichen
Warum problematisch: Interviewer merken, dass du etwas verheimlichst – das wirkt unehrlich.
Beispiel: Auf die Frage "Kennen Sie Kubernetes?" antwortest du: "Ich habe viel DevOps-Erfahrung" (ohne die Frage zu beantworten)
Alternative: "Ich habe Kubernetes bisher nicht produktiv eingesetzt, aber ich verstehe Container-Orchestrierung konzeptuell. Ich habe Docker intensiv genutzt – Kubernetes ist der nächste logische Schritt."
Fehler 4: Keine Initiative zeigen
Warum problematisch: Du wirkst passiv und desinteressiert.
Beispiel: "Nein, das kann ich nicht. Vielleicht lerne ich das irgendwann."
Alternative: "Das kann ich noch nicht – aber ich habe bereits angefangen, mich einzuarbeiten. Ich habe [konkretes Beispiel: Kurs, Projekt, Buch] gemacht."
Proaktiv Lücken ansprechen vs. reaktiv antworten
Manchmal ist es strategisch klug, Lücken PROAKTIV anzusprechen – bevor der Interviewer fragt.
Wann proaktiv ansprechen?
- Wenn die Lücke offensichtlich ist (z.B. im CV steht kein Frontend, aber die Stelle erfordert Frontend)
- Wenn du bereits daran arbeitest (zeigt Initiative)
- Wenn es ein potenzieller Deal-Breaker sein könnte (besser früh klären als später enttäuschen)
Beispiel (proaktiv): "Ich sehe, die Stelle erfordert Machine Learning Kenntnisse. Das ist aktuell meine größte Lücke – ich komme aus klassischer Software-Entwicklung. Aber: Ich habe in den letzten drei Monaten angefangen, mich intensiv einzuarbeiten. Ich habe Andrew Ng's Kurs gemacht und ein kleines ML-Projekt auf GitHub. Ist das für Sie ein Ausschlusskriterium oder gibt es Raum zum Lernen?"
Warum das funktioniert: Du kontrollierst das Narrativ, zeigst Selbstbewusstsein und Initiative – und klärst früh, ob es überhaupt passt.
Wann reaktiv antworten?
- Wenn die Lücke klein ist und wahrscheinlich nicht zur Sprache kommt
- Wenn du nicht sicher bist, ob es eine Lücke ist (vielleicht ist es gar nicht wichtig für die Rolle)
Die "Ich weiß es nicht"-Antwort in Technical Interviews
In technischen Interviews ist "Ich weiß es nicht" manchmal die beste Antwort – wenn du es richtig machst.
Schlechte "Ich weiß es nicht"-Antwort
Interviewer: "Wie funktioniert ein B-Tree?"
Kandidat: "Keine Ahnung."
Warum schlecht: Du gibst einfach auf – das zeigt kein kritisches Denken.
Gute "Ich weiß es nicht"-Antwort
Interviewer: "Wie funktioniert ein B-Tree?"
Kandidat: "Ich bin nicht sicher über die genaue Implementierung eines B-Trees – ich habe primär mit Hash-Maps und Binärbäumen gearbeitet. Aber ich kann versuchen, es zu durchdenken: Ein B-Tree ist vermutlich eine Variante von Binärbäumen, optimiert für bestimmte Use Cases – vielleicht Datenbanken? Ich vermute, es hat mit Balancing und Effizienz bei großen Datasets zu tun. Können Sie mir einen Hinweis geben, ob ich in die richtige Richtung denke?"
Warum gut: Du zeigst:
- Ehrlichkeit über Wissenslücken
- Fähigkeit, logisch zu denken
- Verwandtes Wissen (Binärbäume, Hash-Maps)
- Bereitschaft, zu lernen und nachzufragen
In Technical Interviews zeigt dein Denkprozess oft mehr als die richtige Antwort. "Ich weiß es nicht, aber ich würde es so angehen..." ist besser als Schweigen oder Raten.
Lücken im CV vs. Lücken in Skills
Zwei verschiedene Arten von Lücken – beide erfordern unterschiedliche Strategien.
Zeitliche Lücken im CV (Career Gaps)
Beispiel: 18 Monate ohne Job zwischen zwei Positionen
Schlechte Antwort: Ausweichen oder erfinden
Gute Antwort: "Ich habe 18 Monate pausiert. Persönliche Gründe, die jetzt gelöst sind. In dieser Zeit habe ich mich weitergebildet [konkret benennen] und bin jetzt bereit, voll einzusteigen."
Skill-Lücken (fehlende Fähigkeiten)
Beispiel: Keine Erfahrung mit einem wichtigen Tool
Gute Antwort: Die "Acknowledge-Bridge-Grow"-Methode (siehe oben)
Branchenspezifische Strategien
Tech und Engineering
Hier sind technische Lücken normal – Technologien ändern sich ständig. Zeige Lernfähigkeit und fundamentales Verständnis.
Beispiel: "Ich habe noch nicht mit Rust gearbeitet, aber ich habe C++ und Go Erfahrung. Ich verstehe Memory Management und Concurrency – Rust ist der nächste Schritt."
Kreativbranchen (Design, Marketing)
Hier zählen Portfolio und Kreativität mehr als spezifische Tools. Zeige, dass du designst/kreierst – nicht nur Tools bedienst.
Beispiel: "Ich habe nicht mit Adobe XD gearbeitet, aber ich kenne Figma sehr gut. Design-Prinzipien sind wichtiger als Tools – und Tools lerne ich schnell."
Consulting und Corporate
Hier zählt Business-Verständnis und Problemlösungsfähigkeit. Zeige transferable Skills.
Beispiel: "Ich habe keine Erfahrung in der Pharma-Branche, aber ich habe in stark regulierten Branchen gearbeitet – Finance und Healthcare. Regulatorische Komplexität ist mir vertraut."
Lücken als Gesprächsstarter nutzen
Manchmal können Lücken interessante Gespräche eröffnen – und dich menschlicher machen.
Beispiel: Lisa bewarb sich als UX Designerin, hatte aber keine formale Design-Ausbildung – sie kam aus Psychologie.
Statt das zu verstecken, nutzte sie es als Story: "Ich bin Quereinsteigerin. Ich habe Psychologie studiert, weil mich menschliches Verhalten fasziniert. Irgendwann habe ich gemerkt: UX Design ist angewandte Psychologie. Ich habe mir Design selbst beigebracht – online Kurse, Side Projects, Mentoren gefunden. Mein fehlender Design-Degree bedeutet: Ich habe keine formale Ausbildung, aber ich habe einen psychologischen Blick auf User Needs, den viele Designer nicht haben."
Diese "Lücke" wurde zu ihrem Alleinstellungsmerkmal. Sie bekam die Stelle – weil ihre Perspektive einzigartig war.
Nach dem Interview: Lücken schließen
Wenn du im Interview eine Lücke angesprochen hast, zeige danach Initiative:
Follow-Up Email nach dem Interview:
"Vielen Dank für das Gespräch heute. Wir haben über meine fehlende Kubernetes-Erfahrung gesprochen. Ich habe direkt nach unserem Gespräch angefangen, ein Tutorial zu machen – hier ist mein erstes Deployment [Link zu GitHub]. Ich wollte zeigen, dass ich es ernst meine mit dem Lernen."
Warum das funktioniert: Du beweist, dass deine Lernbereitschaft nicht nur Worte waren – du handelst.
Fazit
Markus hat es richtig gemacht: Ehrlichkeit über Wissenslücken, gepaart mit Lernbereitschaft und Initiative. Seine Transparenz war kein Schwäche – sie war eine Stärke, die Vertrauen geschaffen hat.
Julian lernte die harte Lektion: Übertreibung und Lügen über Skills mögen dich durch das Interview bringen – aber sie zerstören dich im Job.
Fachliche Lücken sind normal, menschlich und kein Deal-Breaker – wenn du richtig damit umgehst. Nutze die "Acknowledge-Bridge-Grow"-Methode: Benenne die Lücke ehrlich, zeige verwandte Skills und demonstriere Initiative beim Lernen.
Interviewer suchen nicht nach perfekten Kandidaten – sie suchen nach ehrlichen, lernbereiten Menschen, die wissen, was sie können und was sie noch lernen wollen. Sei selbstbewusst über deine Stärken. Sei transparent über deine Lücken. Und vor allem: Zeige, dass du bereit bist zu wachsen.
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