Wie Martin vom Labor ins Marketing kam
Martin hatte fünf Jahre als Laborassistent in der Pharmabranche gearbeitet. Jetzt saß er im Vorstellungsgespräch für eine Position als Junior Marketing Manager bei einem Healthcare-Startup. Die Frage kam, wie erwartet: "Sie kommen aus der Forschung und bewerben sich im Marketing. Warum dieser radikale Wechsel?"
Martin atmete tief durch. Er hatte sich vorbereitet: "Im Labor habe ich gemerkt, dass mich die Kommunikation der Ergebnisse mehr fasziniert als die Forschung selbst. Ich habe angefangen, interne Präsentationen zu übernehmen, Newsletter für unser Team zu schreiben und bei der Website-Aktualisierung zu helfen. Dabei ist mir klar geworden: Ich will komplexe wissenschaftliche Inhalte für Menschen verständlich machen. Deshalb habe ich parallel einen Online-Kurs in Content Marketing absolviert und ein Blog über Wissenschaftskommunikation gestartet."
Die Interviewerin nickte anerkennend. "Das zeigt klare Motivation und Initiative." Zwei Wochen später bekam Martin die Zusage – sein Branchenwechsel wurde zum Pluspunkt, nicht zur Schwäche. Motivation.
Ganz anders lief es bei Sandra. Sie wechselte vom Einzelhandel in die IT-Branche. Auf die Frage nach dem Wechsel antwortete sie: "Der Einzelhandel ist stressig und schlecht bezahlt. IT klingt interessanter." Die Interviewer wirkten skeptisch. Die Absage kam mit der Begründung: "Unklare Motivation, fehlende Vorbereitung auf die Branche."
Warum Branchenwechsel kritisch beäugt werden
Recruiter sind bei Branchenwechslern vorsichtig – aus gutem Grund. Sie investieren Zeit und Geld in Einarbeitung und wollen sichergehen, dass du bleibst. Ihre versteckte Angst: "Ist das nur eine Laune? Kehrt die Person nach sechs Monaten zurück zur alten Branche?"
Eine Studie von Robert Half aus 2023 zeigt: 62% der Recruiter bewerten Branchenwechsel kritischer als interne Wechsel. Gleichzeitig geben 71% an, dass sie offen für Quereinsteiger sind – wenn die Motivation klar und überzeugend ist. Quelle
Der Unterschied liegt in der Begründung. Martin zeigte einen klaren roten Faden. Sandra wirkte planlos.
Die Anatomie einer überzeugenden Branchenwechsel-Begründung
Eine starke Begründung besteht aus drei Elementen:
1. Klarer Pull-Faktor (nicht nur Push)
Erzähle, was dich zur neuen Branche ZIEHT – nicht nur, was dich von der alten WEGTREIBT. "Ich will etwas Neues" ist schwach. "Ich will in der nachhaltigen Energiebranche arbeiten, weil ich aktiv zu Klimaschutz beitragen möchte" ist stark.
2. Transferierbare Fähigkeiten
Zeige konkret, welche Skills du mitbringst. Martin betonte seine Kommunikationsfähigkeiten und wissenschaftliche Denkweise – beides wertvoll im Healthcare-Marketing.
3. Konkrete Vorbereitung
Belege, dass der Wechsel kein Impuls ist. Kurse, Zertifikate, Nebenprojekte, Networking – alles, was zeigt: Du meinst es ernst.
Formuliere deine Antwort in maximal 90 Sekunden. Länger wirkt rechtfertigend, kürzer wirkt unvorbereitet. Übe die Balance.
Die STAR-Methode für Branchenwechsel-Geschichten
Jasmin wechselte vom Hotelmanagement in die HR-Branche. Sie nutzte STAR, um ihre Motivation zu begründen:
Situation: "Im Hotel habe ich ein Team von 15 Mitarbeitenden geführt. Die größte Herausforderung war nicht die Logistik, sondern die Menschen: Motivation, Konflikte, Entwicklung."
Task: "Mir wurde klar, dass ich meine Energie vor allem in Personalthemen investiere – und genau das ist es, was mich antreibt."
Action: "Ich habe begonnen, mich intensiv mit HR-Themen zu beschäftigen: SHRM-Zertifikat absolviert, HR-Podcasts gehört, bei internen HR-Projekten mitgearbeitet und mich mit HR-Profis vernetzt."
Result: "Nach einem Jahr war mir klar: Ich will vollzeit im HR arbeiten. Deshalb bewerbe ich mich jetzt gezielt für HR-Positionen, wo ich meine Führungserfahrung und mein Organisationstalent einbringen kann."
Die Interviewer waren überzeugt – Jasmin bekam die Stelle als HR Coordinator.
Häufige Fehler bei der Begründung
Fehler 1: Negativ über die alte Branche sprechen
Thomas machte diesen Fehler: "Die Automobilbranche ist veraltet und zukunftslos. Ich will in eine moderne Branche." Selbst wenn es stimmt – es wirkt bitter und unprofessionell. Bleib positiv oder neutral über deine alte Branche.
Besser: "Die Automobilbranche hat mir viel beigebracht, aber ich möchte jetzt aktiv an der Zukunft der Mobilität arbeiten – und sehe die größten Chancen dafür in der Elektromobilität."
Fehler 2: Vage Begründungen
"Ich suche eine neue Herausforderung" – diese Phrase ist bedeutungslos. Jeder sucht Herausforderungen. Sei spezifisch: WELCHE Herausforderung, WARUM in dieser Branche?
Fehler 3: Nur auf Gehalt oder Benefits fokussieren
Auch wenn es ein Faktor ist – mach es nicht zum Hauptargument. "IT zahlt besser" ist kein überzeugender Grund für einen Branchenwechsel.
Fehler 4: Fehlende Vorbereitung zeigen
Wenn du sagst "Ich interessiere mich für diese Branche", aber keine Branchentrends kennst und keine relevanten Qualifikationen vorweisen kannst, wirkt es unglaubwürdig.
Recherchiere intensiv die Zielbranche: Lies Fachpublikationen, vernetze dich auf LinkedIn mit Branchenprofis, besuche Meetups oder Webinare. Zeige im Interview, dass du die Branche verstehst.
Branchenspezifische Strategien
Von Corporate zu Startup
Nina wechselte von einem Großkonzern zu einem 20-Personen-Startup: "Im Konzern habe ich gelernt, strukturiert zu arbeiten und komplexe Prozesse zu managen. Jetzt will ich diese Struktur in ein agiles Umfeld bringen, wo ich direkteren Impact sehe und mehr Verantwortung übernehmen kann."
Sie betonte dabei: Strukturiertheit (Pluspunkt), Impact-Orientierung (passt zu Startups), Risikobereitschaft (wichtig für Startup-Kultur).
Von Startup zu Corporate
Luca ging den umgekehrten Weg: "Im Startup habe ich unglaublich viel gelernt über Agilität und schnelle Entscheidungen. Jetzt will ich in einem Umfeld arbeiten, wo ich langfristige Strategien entwickeln und an nachhaltigen Strukturen bauen kann."
Er vermied dabei den Eindruck, dass er "Stabilität" sucht (wirkt risikoscheu). Stattdessen: strategisches Denken, Strukturaufbau, Skalierung.
Von traditioneller zu digitaler Branche
Elena wechselte vom Print-Journalismus zu Content Marketing: "Journalismus hat mir das Handwerk beigebracht: recherchieren, strukturieren, Geschichten erzählen. Diese Skills sind im Content Marketing goldwert – nur das Medium und die Strategie sind anders. Deshalb habe ich SEO- und Analytics-Kurse gemacht, um die digitale Komponente zu ergänzen."
Die Rolle von Weiterbildung und Zertifikaten
Weiterbildung ist bei Branchenwechsel fast Pflicht. Sie zeigt: Du bist seriös und vorbereitet. Aber Vorsicht: Nicht jedes Zertifikat ist gleich wertvoll.
Wertvolle Qualifikationen:
- Anerkannte Zertifikate (z.B. Google Analytics, AWS, PMP)
- Hochschul-Zertifikatskurse oder Bootcamps
- Branchenspezifische Trainings (z.B. SCRUM Master, SAP)
- Praktische Projekte (Portfolio, GitHub, Case Studies)
Übung macht den Meister: Überzeuge mit deiner Wechselmotivation. Du erhältst sofort Feedback zu deinen Antworten.
Weniger überzeugend:
- Udemy-Kurse ohne Praxisnachweis
- Kurze Online-Kurse ohne Tiefe
- Zertifikate ohne Branchenanerkennung
Oliver kombinierte es clever: Er machte einen Google Data Analytics Kurs UND baute gleichzeitig ein Dashboard für eine NGO als Volunteer-Projekt. Das zeigte Theorie UND Praxis.
Umgang mit der Gehaltsfrage beim Branchenwechsel
Branchenwechsel bedeuten oft Gehaltsverzicht – zumindest kurzfristig. Wie gehst du damit um?
Wenn du weniger verlangst als vorher:
"Mir ist bewusst, dass ich als Quereinsteiger nicht das gleiche Gehalt wie Branchenexperten erwarten kann. Ich sehe diese Position als Investition in meine Zukunft – und bin bereit, mich durch Leistung zu beweisen."
Wenn du ähnlich verdienen willst:
"Meine transferierbaren Skills – Projektmanagement, Führungserfahrung, analytisches Denken – bringen sofort Mehrwert. Deshalb sehe ich mein Gehalt im Bereich X, was dem Standard für diese Position entspricht."
Vermeide: Dich unter Wert zu verkaufen aus Unsicherheit. Zeige Selbstbewusstsein, aber auch Realismus.
Nutze Gehaltsvergleichsportale wie Glassdoor oder Kununu, um realistische Gehaltsspannen für deine Zielposition zu recherchieren. So vermeidest du unrealistische Forderungen.
Netzwerk und Empfehlungen: Deine Geheimwaffen
Carla wechselte von der Unternehmensberatung in die NGO-Welt. Ihr größter Vorteil? Sie hatte über ein Jahr ein ehrenamtliches Projekt begleitet und kannte dadurch bereits Leute in der Branche. Eine dieser Kontakte empfahl sie für die Position.
Empfehlungen von innen sind Gold wert beim Branchenwechsel. Sie reduzieren das Risiko für den Arbeitgeber ("Jemand, dem wir vertrauen, bürgt für diese Person") und geben dir Glaubwürdigkeit.
So baust du branchenrelevantes Netzwerk auf:
- LinkedIn: Vernetze dich gezielt mit Menschen aus der Zielbranche
- Meetups und Fachevents: Sei präsent, stelle Fragen, merke dir Namen
- Informationsgespräche: Bitte um 20-Minuten-Calls mit Branchenprofis
- Volunteer-Arbeit oder Freelance-Projekte: Praktische Erfahrung sammeln
Die ersten 90 Tage: Beweise deine Entscheidung
Den Job zu bekommen ist nur Schritt eins. Jetzt musst du zeigen, dass der Branchenwechsel die richtige Entscheidung war – für beide Seiten.
Tim's Strategie in den ersten drei Monaten:
- Intensive Einarbeitung: Er las alle verfügbaren Dokumente, stellte viele Fragen, nahm sich Zeit zum Lernen
- Quick Wins: Er identifizierte kleine Projekte, wo er mit seinen transferierbaren Skills sofort Mehrwert bringen konnte
- Netzwerken intern: Er lernte Kollegen aus allen Abteilungen kennen, um die Unternehmenskultur zu verstehen
- Feedback einholen: Er fragte regelmäßig nach Feedback, um blinde Flecken zu identifizieren
Nach sechs Monaten sagte sein Chef: "Du hast bewiesen, dass Branchenwechsel ein Asset sein können – deine externe Perspektive hat uns schon mehrfach geholfen."
Wenn der Wechsel radikal ist: Zusätzliche Strategien
Manche Wechsel sind extremer als andere. Vom Lehrer zum Software-Entwickler. Von der Krankenpflege ins Consulting. Hier brauchst du eine noch stärkere Story.
Emmas Weg vom Lehramt zum UX Design:
"Als Lehrerin habe ich täglich Lernprozesse gestaltet und dabei eine Frage immer wieder gestellt: Wie lernen Menschen am besten? Diese Frage hat mich zu UX Design geführt – wo es darum geht, digitale Produkte so zu gestalten, dass Menschen sie intuitiv verstehen und nutzen können."
Sie zeigte die Verbindung: Pädagogik = User-Zentrierung. Unterrichtsgestaltung = Interaction Design. Feedback einholen = User Research.
Dann belegte sie es: UX Design Bootcamp, 3 Portfolio-Projekte, Praktikum bei einer Agentur (unbezahlt). Als sie sich bewarb, war ihre Story schlüssig und glaubwürdig.
Je radikaler der Wechsel, desto wichtiger ist eine klare narrative Brücke zwischen alter und neuer Branche. Finde die roten Fäden und mache sie sichtbar.
Umgang mit Zweifeln und kritischen Nachfragen
Bereite dich auf skeptische Fragen vor:
"Sind Sie sich sicher, dass Sie nicht nach einem Jahr zurückwechseln?"
"Ich verstehe die Frage. Genau deshalb habe ich mir zwei Jahre Zeit genommen, um diese Entscheidung zu treffen. Ich habe Kurse gemacht, Nebenprojekte durchgeführt und mit vielen Profis aus der Branche gesprochen. Es ist keine spontane Entscheidung – es ist eine gut überlegte Neuausrichtung."
"Ihnen fehlt Branchenerfahrung. Wie wollen Sie das kompensieren?"
"Das stimmt, und ich sehe es als Chance. Ich bringe keine Branchenblindheit mit und kann Prozesse mit frischem Blick betrachten. Gleichzeitig bringe ich 7 Jahre Projektmanagement-Erfahrung mit – diese Skills sind branchenunabhängig wertvoll. Und ich bin extrem lernbereit und motiviert, mich schnell einzuarbeiten."
"Warum sollten wir Sie nehmen statt jemanden mit Branchenerfahrung?"
"Weil ich eine einzigartige Kombination mitbringe: Branchenexterne Perspektive plus starke Grundlagen in [Deine Skills]. Studien zeigen, dass diverse Teams mit unterschiedlichen Hintergründen innovativer sind. Ich würde diese Diversität in Ihr Team bringen – plus hohe Motivation und nachgewiesene Lernfähigkeit."
Fazit
Martin hat es richtig gemacht: Er zeigte einen klaren roten Faden, belegte seine Motivation durch konkrete Schritte und betonte transferierbare Fähigkeiten. Sein Branchenwechsel wurde zur Stärke, nicht zur Schwäche.
Sandra hingegen lernte: Vage Begründungen und fehlende Vorbereitung lassen dich planlos wirken. Branchenwechsel erfordern eine überzeugende Story – und Taten, die diese Story untermauern.
Dein Branchenwechsel kann ein Asset sein. Neue Perspektiven, diverse Erfahrungen, Lernbereitschaft – das sind Eigenschaften, die Unternehmen schätzen. Aber du musst sie überzeugend verpacken und glaubwürdig belegen.
Nimm dir Zeit für deine Story. Investiere in Vorbereitung. Vernetze dich in der Zielbranche. Dann wird aus dem "Risiko Quereinsteiger" die "Chance externe Perspektive" – und du bekommst die Stelle, die du verdienst.
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